Stellungnahme des stellv. Fraktionsvorsitzenden Stadtrat Harald Raß zum Kulturbericht 2016

Veröffentlicht am 01.03.2016 in Fraktion
Wenn wir heute den Kulturbericht diskutieren, bewerten und ggf. Schlussfolgerungen anregen, dann geschieht dies - zeitlich wohl eher zufällig - in einer Zeit, in der von Kultur eher im Zusammenhang mit Leitkultur, womöglich deutscher Leitkultur, diskutiert, nein: gestritten wird. Wobei ich den Eindruck habe, dass es für viele eher um Alltagstugenden als um wirkliche kulturelle Fragen geht.

 

Deshalb meine Schlussfolgerung, dass dieser Kulturbericht sehr wohl in dem genannten Zusammenhang gesehen werden kann. 

 

Welches Bild von unserer Stadt darf man sich also in kultureller Hinsicht machen? 

Zum einen der längeren, langen Tradition – getragen vor allem von zahlreichen Vereinen, Organisationen und Initiativen im ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Bereich, wie, die Jubiläen von Philharmonischem Chor und Stadtkapelle in diesem Jahr eindrucksvoll unterstreichen. Dass gerade die Musik eine besondere Tradition in Fellbach hat, ist natürlich kein Zufall, wenn man an die reformatorische Geschichte Fellbachs denkt. (Und dass sich Fellbacher besonders der Musik verbunden fühlen, sieht wohl auch der OB so, hätte er sich sonst ehrenamtlich dort engagiert?) 

 

Für unsere Stadt stellt mit Sicherheit ein eigenes Kulturamt, das ja nicht zufällig wenige Jahre nach dem Zusammenschluss mit Schmiden und Oeffingen, geschaffen wurde, einen markanten Schritt in der „Stadtwerdung“ dar. Was aber bedeutet „Stadtwerdung“ eigentlich? In erster Linie ist dies nicht eine Frage der Größe oder der wirtschaftlichen Kraft, sondern erlebte, erlebbare und gelebte Vielfalt der Lebensstile, der Herkunft, der religiösen Bindungen, der Sprache, der Nationalitäten, der „multikulturellen Einwohnerschaft“, wie es in der Vorlage heißt. 

 

Darauf eine Antwort zu finden – oder anders ausgedrückt: eine Klammer, die alles zusammenhält - auch bei notwendigen Änderungen, auch das ist eine Aufgabe für die Kultur, und damit für das Kulturamt. 

 

Wie das im Einzelnen - im „kulturellen Alltag“, der ja zu Recht einen breiten Raum im kulturellen Geschehen einnimmt, geschieht, aber auch bei den bewusst gewählten und zur Stadt passenden kulturellen Höhepunkte geschieht, zeigt der Kulturbericht in seiner ganzen Breite, auf deren wiederholte Aufzählung ich an dieser Stelle bewusst – aber nicht missachtend - verzichten darf. Wobei die regelmäßigen Höhepunkte - „Großereignisse“ genannt, die Kontinuität zeigen, aber den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel in sich augenfällig demonstrieren. In der Vorlage und im Bericht selbst wird auf den Interkulturellen Dialog, dessen Notwendigkeit und Brisanz abgehoben. Es ist unübersehbar, dass mit der Ankunft von Zigtausenden von Flüchtenden die Migrationspolitik in einer Einwanderungsgesellschaft eine Herausforderung in bisher nicht genügend beachteter Dimension entstanden ist. Diese auch kulturell zu gestalten, dient ja nicht nur dem Stadtfrieden, der Verhinderung von sozialen Spannungen, sondern bedeutet auch Teilhabegerechtigkeit für Migranten und deren Nachkommen. 

 

Nicht allein, aber bei diesem Thema wird deutlich, dass unser kulturelles (und soziales) Zusammenleben durchaus auch Gefährdungen ausgesetzt ist. Aber auch wenn ich z.B. an den ausufernden Schwachsinn im sogenannten Privatfernsehen denke. Oder eben an die Forderung nach einer deutschen Leitkultur, der sich diejenigen, die , aus welchen Gründen auch immer zu uns gekommen sind, möglichst subito, anzupassen haben. Ungarn und Polen lassen grüßen. Dass derartige Mentalitäten in Fellbach keine, zumindest keine wahrnehmbare Resonanz finden, ganz besonders nicht im Kulturamt, ist nicht nur erfreulich, sondern Ausdruck eines im ursprünglichen Sinne verstandenen aufgeklärten Bewusstseins. Und dann noch, zum Abschluss, noch Anmerkungen, die zu den Perspektiven (Seite 66 ff. des Kulturberichts) Stellung nehmen: 

1. Wir sehen derzeit keine Notwendigkeit, an den organisatorischen Strukturen Änderungen vorzunehmen oder ins Auge zu fassen, auch wenn in absehbarer Zeit ein Wechsel in der Leitung des Kulturamtes ansteht (was kein Geheimnis ist) 

2. In diesen Strukturen, auch der eigenständigen Musikschule, sind die Herausforderungen, die sich z.B. aus der Veränderung der Schullandschaft ergeben, zu meistern, durch Kooperation (Bildungspartnerschaften) und nicht durch Konfrontation. 

3. In die thematischen Fixpunkte verstärkt die „Interkultur“ einfließen zu lassen, unterstützen wir ausdrücklich. 

4. So wie wir in anderen Bereichen, etwa der Kinderbetreuung, die Angebote ausgebaut haben und noch ausbauen werden, so gibt es auch im kulturellen Bereich kein Gebot für einen Stillstand. Mit den neuen Räumen für die Volkshochschule wird ein wichtiger Schritt für den Ausbau der „Infrastruktur“ getan, der die inhaltliche Arbeit unterstützt. Ein offene Baustelle, falsch: ein historisches Gebäude in zentraler, aber leider etwas zurückgesetzter Lage, ist der Konstanzer Pfleghof. Diesen zu einer angemessenen kulturellen Nutzung auszubauen, bleibt eine Schuldigkeit, die wir bedienen sollten. 

5. Es gehört zu den Gepflogenheiten öffentlicher Einrichtungen, mangelnde oder gar fehlende Mittel zu dulden zu müssen. Was im Kulturbericht ausgeführt wird, sollten wir ernst nehmen, und zwar nicht nur deshalb weil dies der Oberbürgermeister noch ausdrücklich unterschrieben hat, sondern weil wir mit unserem Kulturleben eine wirklich gemeinschaftliche Chance haben, Menschen zu verbinden, Toleranz zu fördern und Neues zu erleben. 

6. Und dann zum Schluss: unser, mein herzlicher Dank an die Leitung des Kulturamtes und allen die daran mitgewirkt haben, für den Bericht, aber vor allem für das, was geleistet und geboten wurde. Und die Bitte: die Angebote wahrnehmen, wo immer das geht. Dies sollte uns so wichtig sein, dass wir uns auch die Zeit dafür nehmen.

Welches Bild von unserer Stadt darf man sich also in kultureller Hinsicht machen? 

 

Gemeinderatssitzung am 01.03.2016

 

 

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